Sonntag, Mai 31, 2015

Denn große Katastrophen haben kleine Geister


Überlegungen aus dem alltäglichen Leben


"Ich will nicht mehr Schlange stehn' für unsre Zukunftsangst
Aus der Schule, in die Arbeit. Aus der Kneipe, raus aufs Land.
Lebenslauf aus zweiter Hand. Alles läuft nach Bauplan.
Graffiti an den Wänden, aber heimlich Bausparen.
Einer nach dem Anderen, ins Büro und aus der Welt
Netzwerk knüpfen, Nester bauen. Schatten fahren Karussell,
drehen sich im Neonlicht ihrer großen Meister
doch große Katastrophen haben kleine Geister. 
Fiva | Einen Sommer lang nur tanzen



Ich möchte euch eine kurze Episode erzählen, die mir vor einigen Wochen widerfuhr:
Ich war auf dem Weg zur Uni und fuhr mit der Straßenbahn. Sie war wie so oft randvoll. Es quetschten sich sowohl ein Rollstuhlfahrer, eine Mutter mit Kinderwagen  und eine Radfahrerin noch in die eh schon viel zu überfüllte Bahn. An der Haltestelle, an der ich aussteigen wollte, musste auch die Radfahrerin raus. Das gab natürlich ein ziemliches Hin und Her: Kinderwagen erst einmal ganz raus, Rollstuhl ein wenig zur Seite manövrieren, Leute raus, Kinderwagen wieder rein. Das dauerte natürlich. Meine soziale Ader kommt bei so etwas heraus. Ich muss in solchen Situationen einfach mit anpacken. Somit ging es auch um einiges schneller. Die Beteiligten bedankten sich herzlich bei mir. Als so weit alle(s) wieder an Ort und Stelle war, ertönte das Signal, dass sich die Türen nun schließen. Ich stellte mich in die Tür, um sie noch aufzuhalten, da eine Frau, die ebenfalls geholfen hatte, mit aussteigen wollte. Sie lächelte mich an und stieg mit aus. Wir verabschiedeten uns und gingen in unterschiedliche Richtungen.
Als ich jedoch am Kopf der Straßenbahn vorbei ging, stieg der Straßenbahnfahrer aus und schrie mich an, was mir einfalle, einfach die Tür aufzuhalten. Ich erklärte ihm noch einmal die Situation. Doch ihn schien das nicht zu interessieren. Er beschwerte sich lautstark bei mir, was mir einfalle ihn einfach in seiner Arbeit zu behindern. Wütend und weiterhin vor sich hin grummelnd stieg er zurück in seine Fahrerkabine und fuhr weiter.
Klar - Er muss sich ja auch an seine Fahrtzeiten halten. Mir leuchtete ein, wie ärgerlich es ist, wenn jemand seine Fahrt verzögert. Aber ich verstand die Welt trotzdem nicht. Ich konnte doch nichts dafür. Ich habe doch nur versucht zu helfen. 
Ich regte mich so darüber auf, dass ich gedankenversunken weiterging und fast noch einen Radfahrer über Haufen rannte. 


Kennt ihr solche Situationen?
Man gibt sein Bestes, handelt den eigenen Wertvorstellungen entsprechend. Und dann gibt es einen Dämpfer. Eine Situation, in der das in Frage gestellt wird. Vielleicht durch eine schlechte Note. Durch eine Aussage. Eine andere Meinung. Ob durch den Freund oder die Freundin, einen Dozenten oder eine Dozentin, Mama oder Papa, oder einfach durch einen frustrierten Straßenbahnfahrer. Man kommt ins Grübeln und überdenkt seine Einstellungen. Gleicht die Vorstellungen mit denen der Anderen ab.
Prinzipiell glaube ich immer an das Gute im Menschen und daran, dass wir friedvoll miteinander umgehen können. Aber solche Ereignisse lassen mich mein Weltbild überdenken.



Der Straßenbahnfahrer ist vermutlich einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden oder  hatte schon einige schlimme Erlebnisse an den Tag. Vielleicht hat er eben erst eine Ermahnung bekommen, weil er sich nicht an seine Fahrtzeiten hält. Vielleicht hatte er deswegen ein unangenehmes Gespräch mit seinen Vorgesetzten. Denn "große Katastrophen haben kleine Geister"
Wir wissen nicht, warum er so reagierte. Er ist schließlich auch nur ein Mensch in unserer Gesellschaft. Muss sich an die Regeln in dieser halten. Und diese Gesellschaft hat sich gewandelt. Wir sind zu einer Ellenbogengesellschaft geworden sind. Es geht viel um Profit. Jeder ist auf sich selbst bedacht. Will das Beste für sich herausschlagen. Alles besser machen als der Andere. Mehr Geld verdienen. Sich mehr leisten können. Höher. Schneller. Weiter. 
Wir sind mit diesem System verwoben. Es fällt schwer, dem entgegenzuwirken oder auszubrechen. 
Der Text von Fika greift das wunderbar auf. "Aus der Schule, in die Arbeit. Aus der Kneipe, raus aufs Land". Wir hetzen durch unser Leben. Rennen von einem Termin zum anderen. Ich bin da regelrecht Meisterin in der Disziplin. Mein Terminkalender ist randvoll. Ich versuche allen gerecht zu werden. Quetsche in einen eh schon 18 Stunden Tag noch einen Termin rein, weil ich sonst denke, dass ich nicht voran komme. Dass ich etwas verpasse. Wir kommen nicht zur Ruhe, wir denken schon einen Schritt weiter. Was wird später? Wie komme ich voran? "Einer nach dem Anderen, ins Büro und aus der Welt. Netzwerk knüpfen, Nester bauen. Schatten fahren Karussell."


Aber ist das nun wirklich der Sinn von unserem Dasein? Soll es das gewesen sein und bis zum Schluss so weiter gehen? Wo bleibt da die Zeit für kleine Dinge? Für Freunde und Familie?
Wir sind nicht dazu geschaffen, um von früh bis spät zu arbeiten. Es macht uns kaputt. Macht uns krank. Unser Körper reagiert sehr feinfühlig auf Stress. - Nur wird er uns das nicht gleich zeigen. Wir funktionieren sehr lange. Bloß irgendwann gibt es einen Punkt, an dem es eben nicht mehr weiter geht. Wo sich unser Körper zurück holt, was er braucht. Aus diesem Grund ist es wichtig, auf ihn zu hören und gut mit ihm umzugehen. 

"Fahrt sofort den Rechner runter, sagt eure Termine ab,
schaltet euer Handy aus, ab aufs Rad und in die Stadt,
Kopf in den Fahrtwind, Hände vom Lenker, 
Jeder zieht das an, was in seiner Kindheit Trend war
Um wirklich cool zu sein, sind wir viel zu alt.
Raus in den Sommer es wird früh genug kalt."

Ich möchte euch damit nicht sagen, dass ihr all´eure Verpflichtungen aufgeben sollt. Es gibt Dinge, die man nicht aufgeben kann. Die wichtig sind. Die man nicht aufschieben kann, sondern erledigt werden müssen. Das gehört ja irgendwie dazu. Aber wir sollten abwägen, was wirklich wichtig ist. Wofür wir leben. 
Ein bisschen Freisein. Ein bisschen Kindsein. Seifenblasen pusten. Basteln. Über ein Feld rennen. Etwas tun, was uns Spaß macht. Egal ob es albern ist. Sich mal nicht zu ernst nehmen. Auch mal planlos sein. Sich nicht über alles Gedanken machen. Das Gedankenkarussell einmal abschalten. 
Dafür sollten wir uns Zeit einräumen. "Schau' wohin der Wind mich führt. Um dann ohne Plan auf unsrer Insel zu stranden. Ich will einen Sommer lang nur tanzen."


Vielleicht könnt ihr einfach heute damit starten und ein bisschen faulenzen. Eine Pause wirkt wahrlich Wunder. Man kann sich danach viel besser wieder seinen Aufgaben widmen. Ist Produktiver. Und ist der heutige Ruhetag nicht perfekt dazu geeignet, um mal auf unseren Körper zu hören und ihm eine wohlverdiente Auszeit zu gönnen? 


Eure Katja ♥
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Die Bilder entstanden letztes Jahr September

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