Selbstverständlichkeit
(Ein Auszug)
In meinem Kopf
tummeln sich tausend Visionen,
Träume,
Hoffnungen
von nur kleinen Gesten.
Ein herzliches Lachen,
ein aufmunterndes Lächeln,
eine Umarmung
ein leichter Händedruck
oder einfach nur ein paar liebe Worte -
Lediglich die Bekenntnis,
dass du froh bist
mich um dich zu haben.
Ich schrieb im letzten Jahr einen Brief, den ich bisher niemanden zeigte. Er handelte vor allem von Wünschen und Hoffnungen, die ich zu dem Zeitpunkt hegte. Der hier veröffentlichte Auszug greift sehr gut Themen auf, die sich in meinen Umfeld oft wiederholen: Der Wunsch nach Aufmerksamkeit und dem Verstanden-Werden. Es ist ein menschliches Grundanliegen. Zwar mag die Ausprägung in jeder Person variieren und doch ist es immer präsent. Oftmals begleitet uns dieser Gedanke eher unbewusst.
Es sind genau diese kleinen Gesten. Ein "Danke" fürs Tür aufhalten oder Frühstück machen, ein aufmunterndes, mitfühlendes Zunicken, ein Zettel am Morgen auf dem steht "Ich liebe dich", ein Lächeln, das sagt: "Vielen Dank", eine kraftspendende Umarmung oder der leichte Händedruck. Beides sagt: "Hey, ich bin da. Du musst deine Lasten nicht alleine tragen." Tolle Gespräche, die einen Anderen am eigenen Leben Anteil haben lassen. Ratschläge von dem Anderen oder einfach nur die Ablenkung von den eigenen Sorgen und Problemen. Die Gewissheit: "Du hast meinen Tag gerade ein bisschen leichter, ein bisschen schöner gemacht". Der Andere ist für mich da oder jemand hat einfach an mich gedacht.
Oftmals höre ich, dass "für so etwas keine Zeit" bleibt. Dass so etwas im Alltag leicht untergehe. Und dann frage ich mich immer, warum für so etwas wichtiges keine Zeit sein kann? Solche Momente geben wieder Kraft, helfen einem auf die Beine, wenn man am Boden liegt, vielleicht einen schlechten Tag hatte. Es sind die Dinge, auf die ich mich freue, wenn ich heim komme. Warum also können sie "im Alltag verloren gehen"?
Das Ganze bezieht sich ja nicht nur auf den Partner, sondern auch auf die Familie, die Freunde. Oder auch auf Passanten, auf "Fremde". Immer, wenn eine alte Dame oder ein alter Herr in die Bahn oder den Bus einsteigt, stehe ich auf, um ihnen Platz zu machen.
Neulich versuchte eine Frau mit einem Rollator einen Bordstein zu erklimmen und ist dabei umgefallen. Ich eilte zu ihr. Für mich eine Selbstverständlichkeit, zu ihr zu gehen und ihr hoch zu helfen. Zu fragen, ob alles okay ist, ob sie sich verletzt habe.
Aber - und das stelle ich immer wieder mit Bedauern und etwas Wut im Bauch fest - dem ist nicht so. Passanten gehen zwar an der umgefallenen alten Dame vorbei, aber viele schauen nur und sind nicht dazu bereit, mit anzupacken. Nur wenige helfen! Ich hatte damals Glück und ein junger Mann kam noch der Dame und mir zur Hilfe. Alleine hätte ich sie gar nicht wieder hoch hieven können.
Zehn Andere liefen einfach so vorbei. Es war offensichtlich, dass wir Hilfe benötigten.
Wenn ich meine Familie in der Heimat besuchen fahre oder für einen Fototermin übers Wochenende verreise, dann habe ich immer wahnsinnig viele Sachen, die ich transportieren muss. Das geht allein schon bei meinem Kameraequipment los. - Natürlich benötigt man auch noch ein paar Anziehsachen. Und wenn es dann noch einen besonderen Anlass, wie eine Hochzeit oder eine Taufe gibt, dann möchte man sich ja auch dementsprechend kleiden. Also kommt das auch noch in den Koffer. Außerdem bediene ich dann wohl voll und ganz das weibliche Klischee, wenn ich mir auch dafür noch ein zweites oder drittes Outfit einpacke. Man muss ja eine Auswahl haben! Schon allein dafür, dass man sich an dem Tag in dem engen Kleid oder der Hose nicht wohlfühlt - Also befülle ich nach und nach meine größte Reisetasche! Wenn ich dann das Haus verlasse, sehe ich wohl immer ziemlich lustig aus. Voll bepackt bis obenhin. Ich frage mich dann immer was jemand sagen würde, wenn er wüsste, dass ich für nur zwei Tage Dresden verlasse. Oder ich bemerke schon bei meiner Ankunft das Schmunzeln meiner Familie, meist begleitet mit dem Satz "Na, du wolltest wohl Zuhause ausziehen?".
Erst neulich musste ich so bepackt mit der Straßenbahn zum Bahnhof fahren, um dort meinen Zug zu erwischen. Die Straßenbahn war voll. Ich - mit meiner riesigen Tasche - wollte herein. Die erste Herausforderung, die sich in solchen Momenten darstellt, ist, den Koffer in das Abteil zu hieven. Dummerweise hatte ich natürlich auch einen Kaffee to go in der Hand. Über die andere Schulter meine Tragetasche gehängt, die aber immer runter rutschte. Nun, irgendwie muss der Koffer ja auch gezogen werden. - Natürlich war es in gewisser Weise Selbstverschulden, dass ich wieder so viel Gepäck zu transportieren hatte - aber dennoch machte ich mich ein wenig traurig, dass keiner mir half, obwohl ich offensichtlich auf Hilfe angewiesen war. Ich fragte schließlich ein junges Mädchen, dass hinter mir einstieg, ob sie nicht bitte meinen Kaffee für einen Moment halten konnte . Da drückte ich ihr auch schon den Becher in die Hand. Dann drehte ich mich zu meiner Tasche um, ergriff sie mit beiden Händen und zog sie rückwärts in die Bahn hinein. Rumpelte natürlich noch drei Leute an, die bereits dicht gedrängt innen standen, entschuldigte mich und bekam meinen Kaffeebecher zurück. Puh. Geschafft.
Mir war das alles ganz schön unangenehm, weil ich den Leuten um mir herum ja Umstände bereitete. Sie aufhielt und dann noch um einen Gefallen bat. Als mir diese Gedanken durch den Kopf schwirrten, platzierte sich da aber noch ein anderes Gefühl, ein flüchtiger Gedankenblitz, den ich nicht mehr aus der Hand gab: Wieso glauben wir, dass wir niemanden um Hilfe bitten dürfen? Wieso haben wir so oft das Gefühl Alleinkämpfer zu sein oder sein zu müssen? Wo bleibt da das Soziale? Wo bleibt die Gemeinschaft? Ist es eine Utopie zu glauben, dass Menschen versuchen einander zu helfen und dem anderen Lasten abzunehmen - ganz gleich ob wir uns kennen oder nicht? Ganz gleich, ob der andere dick, dünn, arm, reich,groß oder klein ist? Ist es "unnormal", dass andere Menschen genauso viel Liebe mit sich tragen, wie ich und versuchen den anderen zu helfen, das Leben ein Stück einfacher zu machen, schöner zu machen?
Ich glaube, dass genau Das das Leben doch ausmacht. Für einen Menschen da sein. Ihn begleiten. Ihn das Leben ein wenig zu erleichtern und schöner zu machen - sei es durch
ein herzliches Lachen,
ein aufmunterndes Lächeln,
eine Umarmung
ein[en] leichte[n] Händedruck
Diese kleinen Gesten können so viel verändern. Machen uns glücklich.Und ist das nicht der Anfang von etwas ganz Wunderbaren?
Das Glück durch kleine Gesten wirkt auf mich den ganzen Tag. Wenn ich morgens mit einen liebevollen Kuss oder einem Lächeln geweckt werde, starte ich viel besser in den Tag. Leichter. Befreiter. Geliebt. Das Wissen geliebt zu werden gibt uns Kraft.
Wenn wir also alle ein bisschen Liebe verteilen, fühlen wir uns durch die damit hervorgerufene Reaktion besser und können schöner in den Tag starten. Natürlich gibt es immer wieder diese Miesepeter, die einen es schwer machen, leichtfüßig durch den Tag zu gehen. Die vielleicht auch kleine Gesten nicht so wertschätzen können. Die vielleicht ernsthafte Probleme haben. Aber vielleicht helfen auch ihnen ein paar aufmunternde Worte weiter. Vielleicht würden sie sich auch nur wünschen, mal in den Arm genommen zu werden.
Vielleicht sollten wir versuchen, uns dessen ein wenig bewusster zu sein und einfach ein bisschen Liebe durch kleine Gesten schenken.
Einen Versuch ist es doch wert, oder?